Troisdorf, den 19. Februar 1999

Oskar ist Fünfzig
oder: Die kleine Katastrophe und Tarzans Rettung
oder: Die Grappa-Story

Eine kleine Hommage an unseren ersten halben Hunderter
von Walter und den Oimlern


Eines Morgens spät im Bette
wurde Oskar Tülle wach.
Als wenn er grad Steine geschleppet hätte:
er fühlte sich grottenschwach.
 
Pechrabenschwarz war's ringsumher.
Kein Lichtstrahl durch das Rollo drang.
Das Denken fiel ihm sichtlich schwer,
und außerdem hatte er Harnandrang.
 
Er fühlte sich seltsam steif und hart,
vermochte sich kaum zu bewegen,
die Glieder wie im Krampf erstarrt,
als hätte er auf Beton gelegen.
 
Ein schmerzhafter Blick auf die Leuchtzifferuhr
belehrte ihn: Es ist schon halb zwei.
Warum dröhnt mir der Kopf denn nur,
sagte er und roch schlechten Atem dabei.
 
Dann kam die Erinnerung wieder in Gang:
Gestern Stammtisch mit den Oimlern, den lieben,
und Tülles waren diesmal besonders lang,
nämlich bis kurz vor elf dageblieben.
 
Christiane hatte auf dem Weg nach Haus
ihm deshalb heftig die Meinung gesagt.
Das forderte Oskars Stolz heraus,
und er hatte Widerworte gewagt.
 
Er fühlte sich stark durch die Kraft der Promille.
Christiane schalt ihn einen Affen.
Auf der Straße in abendlicher Stille
begannen Passanten interessiert zu gaffen.
 
So erreichten sie unter lautem Streit
das Haus in der Bachstraße 11a,
um viertel nach elf, also zu nachtschlafener Zeit,
und die Kinder waren auch schon da.
 
Haben prompt für die Mutter Partei ergriffen,
alle gegen Oskar, den tragischen Held.
Doch er hat kühl auf seine Sippschaft gepfiffen
und eine Flasche Grappa auf den Tisch gestellt.
 
Christiane ging klagend und maulend ins Bett,
Oskar goß ein Schäpschen sich ein.
Die Kinder machten den Schlafgang komplett.
Oskar zog den zweiten sich rein.
 
Er griff nach einem Comic und fand dabei,
von Eselsohren trefflich markiert,
auf Anhieb eine vorzüglich gezeichnete Schweinerei.
Dann hat er den dritten Schnaps probiert.
 
So saß er mindestens eine viertel Stunde,
von fauligen Dünsten umgeben,
stets ein neues Schlückchen Grappa im Munde
und den schweinischen Comic daneben.
 
Dabei irgendwann muß es geschehen sein.
In seinem Kleinhirn machte es Klick,
und vor seinem geistigen Augenschein
geriet ihm Christiane als Weib in den Blick.
 
Vergessen das Zetern, das Keifen, das Blaffen,
er witterte Fleisch, zart und schön.
Überhaupt, von wegen: Nennt mich einen Affen!
Nix da: Ich bin Tarzan, Du bist Jane!
 
Röhrend stürzte Oskar die Treppe empor,
sich dabei zunehmend entkleidend,
drang brünstig zum schlafenden Weibe vor,
in Gedanken es schon mit ihr treibend.
 
Christiane schrak hoch und erblickte
vor sich ihren nackten Mann,
der sich auf sie zu stürzen anschickte,
so wild, wie nur Tarzan es kann.
 
Doch Tarzan Oskars triebhafter Überfall
wandelte sich unvershens zum Graus.
Denn Jane Christiane brach mit einem Mal
in schallendes Gelächter aus.
 
"Oh Himmel", so japste sie atemlos,
und hatte ihren Blick höchst amüsiert,
in Richtung ihres Mannes Schoß
auf eine kleine Katastrophe fixiert.
 
Dann kamen die Worte wie Hammerschläge
und erwischten ihn mehr als nur kalt:
"Laß gut sein", sagte sie schon wieder leicht träge,
"mit 50 ist jeder Tarzan alt."
 
Männer sind eitel bis zum letzten Haar,
manchmal hart im Nehmen, keine Frage.
Doch was Oskar soeben widerfahren war,
nennt man vernichtende Niederlage.
 
Manneszier und Manneskraft
sind höchst sensible Sachen.
Sie sind der Quell aller Leidenschaft
und sollen Freude machen.
 
Frauenspott und Hohn darüber
sind aber wie eisiges Wasser.
Sie machten aus manchem Frauen-Lieber
schon eifernde Frauenhasser.
 
Bei Oskar hatte die Lachkanonade
die Wirkung gekränkter Ehre.
Für Hohn und Spott war er sich zu schade,
und er machte zum Rückzug die Kehre.
 
Christiane kichernd in die Kissen sank,
während Oskar beleidigt sich trollte.
"Zieh dir was an, sonst wirst du noch krank",
war das letzte, was er von ihr hören sollte.
 
Grollend sammelte er seine Kleider auf
und hat dann bis tief in die Nacht,
nachdenkend über seinen Lebenslauf
die Flasche Grappa leergemacht.
 
Ja, sollte es das schon gewesen sein?
Mit 50 nur Elend und Not?
Das leuchtete ihm irgendwie gar nicht ein:
Es muß ein Leben geben vor dem Tod!
 
Bisher lief's bei ihm ja eher bescheiden,
die Post ging so richtig nie ab.
Und ein paar körperliche Leiden
begleiten ihn seit Jahr und Tag.
 
Er kennt viele Ärzte, Masseusen, Therapeuten,
war bei Psycho- und Homöopathen.
Sie haben ihm, um sein Geld zu erbeuten,
zu unendlich vielen Arzneien geraten:
 
wenn die Nase trieft und die Augen jucken;
die Haut sich rötet und die Hüfte kracht;
wenn Knochen sich krümmen und Hühneraugen gucken,
das Rückgrat staucht und der Kreislauf schlapp macht.
 
Das alles läßt leidlich sich ertragen,
wenn die Libido noch funktioniert.
Doch nun beschlichen ihn neue Fragen:
War vielleicht auch da etwas passiert?
 
Die kleine Katastrophe, nüchtern betrachtet,
ist als Einzelfall durchaus tolerabel.
Wird das ganze hingegen zum Zweifelsfall,
ist im Zweifel das ganze blamabel.
 
Zu solchen Gedanken gesellten sich rasche
ein paar weitere Desillusionen.
Mit sinkendem Pegel der Grappaflasche
schliff der Trübsinn die letzten Bastionen.
 
Warum war er eigentlich Beamter geworden,
Geodät mit Senkblei und Latte?
Warum zog es ihn in die Kälte nach Norden,
statt nach Süden, wenn er Urlaub hatte?
 
Warum waren seine Stifte nach Größe sortiert,
und seine CD's alphabetisch?
Warum hatte er nie einen Fremdgang riskiert
und fand alle Tage alltäglich?
 
Was nützte ein treusorgend, liebend Weib,
die zwei prächtige Kinder gebar,
wenn ausgerechnet sein eigener Leib
stellenweis eine kleine Katastrophe war?
 
Ordnung, ja ja, ist das halbe Leben,
aber das halbe eben nur.
Es muß doch auch die andere Hälfte geben,
und so kommen wir Vokers Natur auf die Spur.
 
Unter der Hülle des braven Geodäten,
genährt von bizarrer Phantasie,
verbergen sich mancherlei Perversitäten,
doch geoutet hat er sich nie.
 
Nur er weiß um die heimlichen Schmuddelecken,
um die Abgründe in Seele und Geist.
Den Playboy muß er allerdings nicht mehr verstecken,
den lesen die Kinder zumeist.
 
Die schweinischen Comics sind heut auch nicht mehr
verborgen unter Kleidern im Schrank.
Die Kinder sind weiter, lieben Hardcore sehr,
doch sowas hat Oskar nicht, Gottseidank.
 
Früher hat er ab und zu schon mal feucht geträumt,
von Engeln und so im Paradies,
hat fast nie im Kino einen Sexfilm versäumt,
aber heimlich machte er dies.
 
Und dann und wann, wenn auch selten nur,
ging so richtig er aus sich heraus,
dann wurde er Tarzan und folgte der Spur
von Jane durch das ganze Haus.
 
Und wenn er sie schließlich irgendwo schnappte,
hat er flugs sie ins Schlafzimmer gebracht.
Das war die Zeit, als es noch klappte,
deshalb hat Christiane nie schallend gelacht.
 
So kehrte sein schwerer Gedankenflug
an den Ursprung der Trübsal zurück.
War er wirklich als Tarzan nicht mehr gut genug
für sein ehemals stärkstes Stück?
 
Das muß sich ändern, so sprach sein Wille,
mit 50 ist noch lange nicht Schluß.
Ich brauche dringend die blaue Pille,
damit Christiane nicht mehr lachen muß.
 
Vom Grappa beflügelt ihm auch gleich ein:
Im Arzneischrank müßte Viagra sein.
Denn Christiane hatte erst vor wenigen Tagen
aus der Apotheke ein Pröbchen nach Haus getragen.
 
Ob das wohl für den Eismann sei,
hatte Oskar gespottet laut.
Der sei doch steif gefroren
viel besser als aufgetaut.
 
Nun muß er selbst zu Viagra greifen,
das hätte er niemals gedacht.
Doch Tarzan braucht dringend einen Steifen,
sonst wird er von Jane wieder ausgelacht.
 
Oskar schluckte mannhaft die blaue Pille
und spülte kräftig mit Grappa nach.
Dann schlich er guten Mutes durch die häusliche Stille
hinein ins eheliche Schlafgemach.
 
Erwartungsvoll streckte er aus die Glieder,
kuschelte wohlig sich ins Kissen hinein.
Gleich, oh Jane, kommt Tarzan wieder,
so dachte er noch - und schlief dann ein.
 
Was immer in dieser Nacht auch geschah
wurde Oskar nie richtig bekannt.
Als er mittags das erste Tageslicht sah,
nur den Zettel er neben sich fand.
 
"Oh Tarzan, du warst noch nie so fit,
es war wirklich wunderschön.
Ich bring heut eine große Packung mit.
Deine Dich liebende Jane."
 
Und als sie dann kam, da schwieg sie sich aus,
und sie sagte nur so nebenbei:
"Wir haben jetzt auch kistenweise Grappa im Haus,
das macht aus der Pille Turbo-Arznei."
 
Verwunderlich war's, bis Oskar drauf kam,
die Packungsbeilage zu studieren,
zu Risiken, Nebenwirkungen und ähnlichem Kram,
wenn Viagra soll richtig funktionieren.
 
Und dort stand: Zusammen mit Alkohol
in höchstprozentiger Konzentration,
führt die Pille zum Koma im Geiste wohl,
doch körperlich zur Spitzenfunktion.
 
Im Klartext: Du weißt nicht, was du tust,
bist willenlos und trotzdem topfit,
wirst Werkzeug von weiblicher Laune und Lust
und kriegst selbst doch überhaupt nichts mit.
 
Das ist zwar anders als vorgestellt,
weil der Spaßfaktor wird reduziert.
Doch Oskar kriegt jetzt dauernd unbestellt
von Christiane reichlich Grappa serviert.
 
Das gibt seinem Dasein einen neuen Sinn,
die 50 ist nur noch eine Zahl,
stellt Christiane ihm einen Grappa hin,
dann weiß er: Sie will wieder mal.
 
Und ist irgendwann die Packung leer,
keine Pille mehr im Haus,
trinkt Christiane mit ihm den Grappa leer,
weil: Dann macht es ihr nichts mehr aus.
 
Damit jedoch für alle künftigen Fälle
sich keiner von euch muß beklagen
erneut über die kleine Katastrophenstelle -
bitte: Im Notfall Scheibe einschlagen.

© by OImler

links.gif (1337 Byte)